Aufgaben des Betroffenen in der Krise
Autor: Mag. Günther Zier, Psychologe
Inhalt
Die Krise stellt
neue Aufgaben
Neue
äußere Maßnahmen
Neue
psychosoziale Erfordernisse

Neue Aufgaben
Probleme, wie sie sich dem Menschen in Gestalt
kritischer Lebenssituationen stellen, können auch als Aufgaben
begriffen werden. Der Mensch muss sie anpacken und bewältigen.
Erklärung: "Bewältigung"
„Aufgaben“ beschreiben auch Anforderungen, die sich
in verschiedenen Lebenssituationen an den Menschen stellen.
Diese Anforderungen ergeben sich aus dem täglichen
Leben, z B. Aufwachsen in einer Familie, Lernen in der Schule, Eintritt in
die Arbeitswelt, Unterhalt einer eigenen Familie.
Aus allgemeinen traumatischen Lebenssituationen wie
z. B. Tod eines Angehörigen, Trennung, Krankheit oder finanzielle Not,
entstehen auch neue Aufgaben. Die meisten davon sind vollkommen unbekannt
für den Betroffenen.
Diese Aufgaben (bzw. Anforderungen) verlangen von den
Betroffenen bestimmte Verhaltens- oder Handlungsweisen.
"Auf die einfachste Art haben
vielleicht Reid und Epstein das Konzept der Aufgabe anwendbar gemacht;
nach ihrer Definition ist die Aufgabe »das, was der Klient willens ist zu
versuchen, um an einem Problem zu arbeiten. «"
(REID ,& EPSTEIN,1979, S.
96)
Krisenbehandlung orientiert sich bewusst an den
psychologischen Aufgaben, die durchgeführt werden müssen, wenn die
belastende Situation gemeistert werden soll. In der Krisenintervention
werden diese Aufgaben sichtbar gemacht und der Klient kann sich
dementsprechend verhalten.
„Dieses Konzept der Aufgabe
(…), eröffnet eine ganze Reihe von Möglichkeiten. In der Krisenintervention
können wir uns mit dem Konzept der Aufgabe (eingef. G. Zier) darüber klar
werden, welche Dinge getan werden müssen, damit das Gleichgewicht
wiederhergestellt wird, und wer am ehesten imstande ist, dies zu tun. Die
Art der anstehenden Aufgaben kann uns als Leitlinie dienen, wenn es um die
Bestimmung des jeweiligen Vorgehens geht. (Naomi Golan, 1983) Seite 76
Ein Beispiel:
Vor der Intervention im Fall einer ganz bestimmten
schwierigen Lage sind wichtige Fragen zu stellen und zu beantworten:
Wie stark beeinträchtigt das bedrohliche Ereignis
und/oder der krisenauslösende Faktor die gegenwärtige Lebenssituation des
Menschen?
Welche Bereiche sind davon betroffen?
Eine Frau musste sich mit ihrem neuen Zustand der
Witwenschaft herumschlagen. (Die neue Witwenschaft erfordert innere
Veränderungen sowie auch Veränderungen in den Beziehungen zu anderen
Verwandten und Freunden) In fünf wichtigen Bereichen des sozialen Netzes der
Witwe sind Störungen aufgefallen:
Ehe, Familie, Beruf und Arbeitsplatz, Freizeit,
Institution;
Zugleich ergaben sich in diesen Bereichen Einbußen,
Entbehrungen
und Bedrohungen, die der Klientin widerfahren sind.
Der gestörte Bereich konnte
ausfindig gemacht werden, und die Behandlung mit ihren Aufgaben für die
Klientin konzipiert werden, Aufgaben die jetzt erfüllt werden mussten, damit
der Klient sich mit Erfolg an die Bewältigung dieser Störungen machen
konnte. Nach (Naomi Golan, 1983) Seite 77
Diese Aufgaben lassen sich auf
zwei verschiedenen Ebenen gliedern:
¤
Die Ebene der äußeren Maßnahmen und
Vorkehrungen und
¤
Die Ebene der psychosozialen Erfordernisse.
Zu den äußeren Maßnahmen und Vorkehrungen
gehören materieller Hilfen und praktische Leistungen.
Äußere Maßnahmen und Vorkehrungen
In der Krisensituation muss der
Mensch die folgenden äußeren Maßnahmen und Vorkehrungen treffen, und
zwar für jeden Bereich, der durch seine augenblickliche Situation betroffen
ist:
„1. Er muss die vorhandenen Lösungen, die Hilfsquellen und
möglichen Rollen erkunden.
2. Er muss sich für die geeignete Lösung, Hilfsquelle
und/oder Rolle entscheiden und sich auf die Übernahme dieser Rolle
vorbereiten.
3. Er muss die Lösung oder die Hilfsquelle formell
»beantragen«; er muss die neue Rolle übernehmen.
4. Er muss die neu-gefundene Lösung oder Hilfsquelle aktiv
nutzen und die neue Rolle aktiv vollziehen.
5. Er muss Anpassungen vornehmen und Kompetenz entwickeln,
bis seine Leistungen und sein Rollenvollzug angemessen ausfallen.“
Zitat: (Naomi Golan, 1983, Seite 78)
Die Krisen-Helfer unterstützen den
Betroffenen bei der Erkundung seiner Bedürfnisse, wie sie nun in ihren
veränderten Situationen bestehen; gemeinsam mit ihm wird überlegt, welche
Lösungen möglich sind; man informiert ihn über die vorhandenen Hilfsquellen;
innerhalb des Gemeinwesens bestehende stützende Systeme werden mobilisiert
und eröffnen ihm Möglichkeiten, die er nutzen kann.
Psychosoziale Erfordernisse
In Krisenzeiten ist zu beobachten, dass der Einzelne
(ebenso wie die Familie und die Gruppe) oft
in komplexer, irrationaler und unvorhersehbarer
Weise reagiert. Der hohe Stress und innere Druck lässt manche Menschen sehr
merkwürdig handeln.
Daher muss
sich der Betroffene
neben den äußeren Hilfen auch den inneren Anpassungen, auch
psychosozialen Erfordernissen genannt, zuwenden.
"1. Er muss mit der Bedrohung fertigwerden, die seiner bis
eben noch vorhandenen Sicherheit, seinem Kompetenzgefühl und seiner
Selbstachtung widerfahren ist; er muss das Gefühl verarbeiten, daß er eine
Einbuße erlitten hat und dem Verlorenen nun nachtrauert.
2. Er muss mit den Ängsten und Frustrationen fertigwerden,
auf die er stößt, wenn er nun Entscheidungen treffen oder neue Lösungen,
Hilfsquellen oder Rollen finden muss.
3. Er muss die Belastung aushalten können,
dass er sich um
die gewählte Lösung oder Hilfsquelle aktiv bemühen oder die neue Rolle
tatsächlich übernehmen muss.
4. Er muss sich an die neue Lösung, Hilfsquelle oder Rolle
und an die damit einhergehenden Veränderungen, was seine Position und seinen
Status in der Familie und der Gemeinschaft angeht, anpassen.
5. Er muss neue Maßstäbe anerkennen, was sein Wohlergehen
betrifft, sich mit der Tatsache verminderter Gratifikationen abfinden;
er muss es fertigbringen, auf Belohnungen solange zu
warten,
bis er wieder imstande ist, den üblichen Verhaltensnormen
zu entsprechen.
Auf der Ebene der psychosozialen Erfordernisse gelten die
Bemühungen sehr weitgehend den Gefühlen des von der Krise betroffenen
Menschen
– seiner Unsicherheit und
seinen zwiespältigen Empfindungen,
– seinen Ängsten und seiner Verzweiflung;
Ein Mensch, der den Versuch unternimmt, das zu tun, was getan werden
muss.“
(Naomi Golan, 1983) Seite 79
Die ernsthafte Beschäftigung mit diesen Aufgaben ist
die beste Voraussetzung für eine zufriedenstellende Lösung des Problems. |