Die Phasen im Anschluss an die Katastrophe
Diese Phasen beginnen, nachdem die Zerstörungskraft
der Katastrophe aufgehört hat.
4. Die Bestandsaufnahme
In dieser Phase ist das Schlimmste
durchgestanden. Z. B. ist der Sturm schwächer geworden, die Trümmer haben
sich gesetzt, oder die Bombenflugzeuge haben abgedreht.
Jetzt kommen die gelähmten und
benommenen Überlebenden aus ihren Zufluchtsorten heraus und betrachten, was
übrig geblieben ist.
In diesen Augenblicken ist die
soziale Szene nebensächlich,
jeder Betroffene ist isoliert vom Anderen und reagiert für sich alleine auf
das Ereignis.
Die eigenen Verletzungen und die
Schäden der unmittelbaren Angehörigen stehen jetzt im Vordergrund und werden
versorgt.
Dann beginnen Alle umherzustreifen,
nach Angehörigen zu suchen und die äußeren Zerstörungen in der unmittelbaren
Umgebung zu sehen und einzuschätzen.
Erste Reaktionen auf die Zerstörungen
„Die ersten Reaktionen reichen von der benommenen Bestürzung, der
Ungläubigkeit und dem Gefühl des katastrophalen Verlustes bis hin zu
unendlicher Erleichterung und Dankbarkeit dafür, dass man das Schlimmste
lebend überstanden hat.“
Literatur: GOLAN, Naomi: Krisenintervention (Treatment in
crisis situations, dt.). Strategien psychosozialer Hilfen. Freiburg Br:
Lambertus-Verlag, 1983. Seite 136
Vielfach wurde angenommen und auch
beobachtet, dass es in dieser ersten Reaktion auf die Katastrophe zu
Massenverwirrung kommt. Allerdings haben genauere Forschungen das
Gegenteil gezeigt. (Seite 136.)
„So liegt es in der Natur der Sache, dass sich dem Betrachter nach einem
verheerenden Ereignis ein chaotisches Bild bietet.
Dieses Bild des „Chaos“ wird durch zerstörte oder überlastete
Kommunikationseinrichtungen verstärkt. Daraus folgt ein Missverhältnis von
benötigter und verfügbarer Information. Auch die Koordination zwischen den
bereits vor Ort befindlichen und neu ankommenden Hilfsorganisationen
verläuft in einer ersten Phase nicht reibungsfrei und benötigt ihre Zeit.
Der Betrachter von Außerhalb erkennt hingegen oft nicht, ab wann sich
Strukturen herausbilden, verfestigen und sich ein effizientes Netzwerk von
Helfern und Kommunikationskanälen herauskristallisiert hat.“
Literatur:
Rotes Kreuz: Katastrophen. In: ÖSTERREICHISCHES ROTES KREUZ, NÖ (Hrsg.):
Krisenintervention, KIT Lehr- und Lernbehelf. 2004, Seite 96
Es sieht zwar aus nach Chaos und
Verwirrung aus, aber bei genauem Hinsehen ist doch eine beginnende
Selbstorganisation zu erkennen.
Die meisten Menschen beginnen
deutlich zielgerichtete Aktivitäten. Es geht darum, das eigene Überleben und
das Überleben ihrer Mitmenschen in der nächsten Umgebung zu sichern. Die
meisten dieser Tätigkeiten sind zusätzlich noch mit anderen Opfern und
Helfern abgestimmt.
Man schließt sich rasch anderen
Menschen in der unmittelbaren Umgebung an. Das Gefühl der Anteilnahme und
Herzlichkeit bestimmt den Umgang miteinander. Es gibt große Bereitschaft zu
gegenseitiger Hilfeleistung, unabhängig vom sozialen, rassischen oder
wirtschaftlichen Status.
Unverletzte beginnen mit der
Befreiung eingeschlossener Opfer und leistet den verletzten Menschen Erste
Hilfe. Dabei sind oft große Anstrengung und bewundernswerte Ausdauer zu
beobachten.
Bei manchen Überlebenden hält das
Katastrophensyndrom (Schock, Passivität, Rückzug, wie sie für die Phase des
Hereinbrechens der Katastrophe typisch sind) allerdings noch Stunden und
Tage an.
Bedeutung der Familie
In dieser Periode der Zersplitterung
des sozialen Gefüges wird die Bedeutung der Familie als wichtigste
soziale Einheit besonders wichtig.
Der familiäre Zusammenhalt wird
kräftiger, Familienrollen werden intensiver gelebt. Alte interne Reibereien
und Meinungsverschiedenheiten werden vergessen. Wichtig ist das Überleben
der Familie, daraus können die Mitglieder neue Freude schöpfen. Der Gedanke
des Familienzusammenhalts wird wichtiger und bestimmt das Verhalten und
Entscheiden des Einzelnen.
Offizielle und berufliche Rollen
Die früheren offiziellen und
beruflichen Rollen treten zurück, besonders wenn die Gemeinschaft nicht
auf das Unglück vorbereitet war. Die gewohnten Rollen wurden vorübergehend
zurückgesteckt, weil sie unmittelbar nach dem Wüten der Katastrophe keine
Bedeutung für das Überleben haben.
Vor der Katastrophe gab es
offiziellen Strukturen der Gesellschaft. Damit diese funktionierten,
bedienten sich die Leute eingeschliffener Verfahren, wie z. B. der Besuch
bei einem praktischen Arzt, oder der Besuch in einem Restaurant. All dies
gewohnten Regeln und Vorschriften passen nun nicht mehr. Es fällt schwer,
die Abläufe und Prozesse aus dem normalen Alltag an die veränderte Situation
anzupassen.
Dazu ein Beispiel: In einer
Kleinstadt bricht am frühen Morgen im ersten Stock eines größeren
Mehrfamilienhauses ein Brand aus. Die Feuerwehr braucht eine Weile, bis alle
50 Personen aus dem Wohnhaus gerettet werden. Die meisten leiden unter einer
Rauchgasvergiftung und werden mit Rettungsfahrzeugen ins nahe Krankenhaus
gebracht. Die Transportkapazität des Roten Kreuzes ist schnell erschöpft.
Daher entschließt sich der Einsatzleiter der Feuerwehr, die Patienten
zusätzlich mit einem Mannschaftstransportfahrzeug der Feuerwehr ins
Krankenhaus zu bringen.
Zur Überraschung aller Personen, die
an dem Einsatz mitarbeiten, werden diese Patienten vom Krankenhaus nicht
aufgenommen. Das Krankenhaus gibt als Begründung für die Ablehnung an: „Die
Patienten werden nicht aufgenommen, weil sie nicht mit einem
Rettungsfahrzeug gebracht wurden“.
Die Helfer befanden sich bei der
Bewältigung in einer lokalen Katastrophe, sie dachten nur daran, das
menschenmögliche zur Rettung der Hausbewohner zu machen. Anders das
Krankenhauspersonal: Sie hatten ihre gewohnten Regeln und Vorschriften, wie
eine Patienen-Aufnahme ablaufen müsste. Und konnten nicht davon abweichen.
(Auszug aus dem Einsatzbericht Mag. Günther Zier,
Dez. 2004)
Gerüchte breiten sich aus
In dieser Phase sind richtige, wahre
Informationen über die Zerstörungen nicht vorhanden. Dieses
Informationsdefizit fördert die Desinformation. Jede einzelne Zelle im
Katastrophengebiet bemüht sich, „die Bruchstücke der Informationen
zusammenzufügen“. Viele Bruchstücke sind Halbwahrheiten, Interpretationen,
Vermutungen. Gesicherte Informationen über Tatsachen und Fakten sind kaum
vorhanden. Gerüchte verbreiten sich wie Lauffeuer.
Verbindung zur Außenwelt
Langsam gelingt es den Betroffenen,
das Kommunikationssystem wieder in Betrieb zu nehmen. Telefonleitungen
werden geflickt, Funkgeräte werden repariert, eine behelfsmäßige
Stromversorgung kann die Geräte betreiben. Erste Hilferufe werden ausgesandt
Wie schnell und wie gut die Reparatur
des Kommunikationssystems gelingt, hängt natürlich von den Zerstörungen ab.
Je mehr vom Unglück zerstört wurde, desto schwieriger und zeitraubender ist
die Wiederherstellung der Verbindungen zur Außenwelt.
5. Die Rettung
Diese Phase lässt sich von der
vorangegangenen nicht abgrenzen. Der Übergang ist fließend und läuft
parallel mit der vorhergehenden Phase ab.
Die betroffenen Menschen arbeiten
weiter an ihrer eigenen Rettung und der Rettung ihrer Mitmenschen.
Sie räumen die Trümmer zur Seite,
leisten den Verletzten Erste Hilfe, errichten Notunterkünfte, bringen
Überlebende an einen zentralen noch intakten Ort (z. B. etwa eine Schule,
das Rathaus, einen Park, Sportplatz, etc.).
Die Rettungsarbeiten laufen jetzt an.
Es sind meist spontane Aktionen mit den vor Ort vorhandenen Rettungsgeräten.
Es ist zu Beginn noch keine klare Ordnung und Struktur vorhanden. Aber mit
der Zeit werden die einzelnen Maßnahmen immer besser abgestimmt und
Strukturen bilden sich heraus.
Wichtige Güter, wie Wasser, Nahrung
und Unterkunft werden verteilt. Auch dabei wird die Ordnung übersichtlicher.
Es wird auf eine gerechte Verteilung wert gelegt.
Altruistischen Gemeinschaft
Das Arbeitsklima ist von gutem Willen
und freudiger Erregung, ja sogar von Euphorie geprägt - wir haben es mit dem
Phänomen der »altruistischen Gemeinschaft« zu tun.
Die betroffenen Menschen bilden eine
altruistische Gemeinschaft. Sie fühlen sich deshalb einander zugehörig und
verbunden, weil sie die gleiche Gefahr durchlebten, die gleichen Verluste
erleiden mussten und den gleichen Kampf ums überleben führten. Sie fühlen
sich verpflichtet, einander gegenseitig zu helfen.
Verkehrsströme
Sofort nach dem Nachlassen der
tobenden Gewalten, eilen viele Menschen aus den Randbereichen des
betroffenen Gebietes zur Hilfe. Die Helfer strömen in das von der
Katastrophe heimgesuchte Gebiet, obwohl der Zugang schwierig ist.
Höchstwahrscheinlich gibt es auch keine Unterkünfte für die Helfer und sie
können sich nirgends niederlassen. Die Versorgung der Helfer mit
Lebensmitteln, Ersatzbekleidung und Betriebsmitteln ist noch unsicher.
Es kommen aber nicht nur Helfer,
sondern auch viele anderen Menschen, die nicht nur zur Rettung und Bergung
hergekommen sind:
¤
Menschen, die herausfinden wollen, wie es
ihren Freunden und Verwandten geht.
¤
Auch freiwillige Helfer kommen, die bei den
Bergungs- und Aufräumarbeiten mitarbeiten wollen.
¤
Dann sind noch Schaulustige unterwegs, die
ganz einfach neugierig sind oder den Nervenkitzel suchen. Der
„Katastrophentourismus“ kommt langsam in Gang.
¤
Wenn die Katastrophe für die Medien
interessant ist, strömen auch viele Journalisten in das betroffene Gebiet.
¤
Auch Plünderer versuchen in das zerstörte
Gebiet einzudringen. Sie wittern ihre Chance, sich am Unglück der
Betroffenen zu bereichern. Wenn alle sozialen Strukturen zerstört sind, wäre
es leicht an die noch vorhandenen Bedarfsgüter zu gelangen. Manche Plünderer
scheuen auch nicht zurück, die letzten Habseligkeiten der Betroffenen zu
stehlen.
In den ersten Stunden dieser Phase
der ersten Rettungsmaßnahmen ist es noch relativ leicht möglich, die noch
funktionierenden Verkehrswege zu benützen. Die noch wenigen Fahrzeuge können
trotz der Zerstörungen zu den Betroffenen durchkommen. Es gibt zwar wenige
benutzbare Straßen, viele sind durch Trümmer, umgestürzte Bäume und
Gebäuden, oder Hochwasser, Schlamm und Muren blockiert. Aber die Helfer aus
den direkt angrenzenden Gebieten sind teilweise auch ortskundig, kennen sich
aus und können die Hindernisse umgehen.
Etwas später, wenn wesentlich mehr
Helfer und andere Menschen auf dem Weg in das Katastrophengebiet sind, kommt
es zu sehr ungünstigen Verkehrsstauungen. Für die Helfer ist das eine
zusätzliche Belastung: Sie stehen mit ihren Fahrzeugen und Geräten in
einigen hundert Metern vor den zerstörten Häusern und können nicht weiter,
weil die Zufahrtswege verstopft sind.
„Erwartungsphasen sind für Helfer aber auch bei technischen Katastrophen
möglich, wenn Einsatzkräfte auf Grund versperrter Zufahrtswege nicht
unmittelbar vor Ort können oder wenn Sicherheitsrisiken (z.B. Einsturz- und
Explosionsgefahren) erst beseitigt werden müssen. Einsatzkräfte sind in
dieser Phase dazu 'verdammt' innerlich alarmiert zu sein, sie können aber
diese körperliche und seelische Aktivierung nicht umsetzen.“
Literatur: Rotes Kreuz: Katastrophen. In: ÖSTERREICHISCHES
ROTES KREUZ, NÖ (Hrsg.): Krisenintervention, KIT Lehr- und Lernbehelf. 2004,
Seite 90
Später, etwa ab dem nächsten Tag,
kommt die Phase, wo die Helfer aus sehr weit entlegenen Gebieten in das
zerstörte Areal strömen. Es kommt manchmal vor, dass die
Katastrophen-Hilfszüge der Feuerwehr, Technisches Hilfswerks, Rotes Kreuz
und oder Militär die Straßen für den normalen Verkehr zusätzlich enorm
belasten. Die Kapazitätsgrenzen der Straßen werden überschritten, es kommt
zu Stauungen im Verkehrsfluss.
Die nicht-betroffene Bevölkerung
reagiert oft sehr großzügig auf das Hilfeersuchen. Sammlungen laufen an.
Sofort werden Hilfsgüter zu Gunsten der Geschädigten geliefert.
Aber oft sind diese Lieferungen und
Leistungen nicht von der richtigen Art. Und die Verteilung an die
Betroffenen klappt nicht so recht.
„Solange die Kommunikations- und Transportnetze zerstört sind, lässt sich
unmöglich ein genauer Überblick über das Ausmaß der Schäden gewinnen. Das
führt zu ungenauen Angaben über die benötigten Dinge, die auf Gerüchten und
auf falscher Einschätzung der Lage beruhen. Damit werden Zeit, Mühe und
Material sinnlos vertan.“
Literatur:
GOLAN, Naomi:
Krisenintervention (Treatment in crisis situations, dt.). Strategien
psychosozialer Hilfen. Freiburg Br: Lambertus-V, 1983. - 3784102344
Seite 138
Gefahr für die Überlebenden in den Notunterkünften
Bei großen Zerstörungen von Städten
und Ortschaften werden die Überlebenden in Not-Unterkünften untergebracht.
Meist werden hierzu Schulen, Sporthallen, Feuerwehrhäuser und / oder Garagen
benützt.
Damit ist die erste Unterbringung
gelungen. Jetzt kommt die Aufgabe, diese Menschen mit Nahrung zu versorgen.
Was sehr schwierig sein kann, wenn die Verkehrswege noch verschüttet sind,
oder von den Wassermassen weggeschwemmt wurden.
Des Weiteren ist die Klimatisierung
der Notunterkünfte ein Problem, wenn die Katastrophe zu Winterszeiten
hereingebrochen ist.
Trotz aller Anstrengung und Führsorge
der Helfer gelingt es nicht, alle Menschen vollständig zu versorgen. So ist
es nach dem schlimmen Erdbeben (+ Zunami und Bedrohung durch nukleare
Verstrahlung) in Japan im März 2011 noch zu 25 Todesfällen durch Erfrieren,
Verhungern und Verdursten gekommen. (Quelle: Nachrichten der
Nachrichtensender CNN, n-tv und N24)
Besonders schwierig ist die
Selbstmordgefahr der Überlebenden. Trotz der Unterbringung in den
Notquartieren und der viele Kontakt mit anderen Menschen, können manche
Menschen an der Zerstörung verzweifeln. Alles Hab und Gut wurde ihnen
genommen und vielleicht wurden sogar alle Angehörigen getötet. Einige
Menschen betrachten dann ihre Existenz als nicht mehr lebenswert und nehmen
sich ihr Leben. (Quelle: Einsatzbericht Mag. Günther Zier, „Kamptal-Hochwasser“
2002)
6. Heilung
Sobald die ersten Rettungsarbeiten
abgeschlossen sind, wird mit der Bestandsaufnahme begonnen.
Das Ausmaß der Schäden wird
festgestellt. Zum Teil geben die Betroffnen ihren eigenen Schaden an, zum
Teil werden Experten eingesetzt, die die Schäden genau analysieren und
bewerten können.
Es kann auch schon zu ersten
Direkt-Zahlungen von Hilfsgeldern an die Betroffenen kommen. Ohne größere
Bürokratie wird den Geschädigten ein Betrag ausgezahlt, mit denen sie die
erste Zeit nach dem Unheil ihr Leben gestalten können.
Später können die wichtigsten
Bedürfnisse der Menschen erfüllt werden. Die Betroffenen werden aus ihren
Notunterkünften geholt. Möglicherweise waren sie in Baracken oder Zelten
untergebracht, diese werden nun aufgelöst und die Menschen kehren fürs erste
in ihre vielleicht nur vorübergehend nutzbaren Wohnungen zurück. Jetzt
werden in den Heimstätten einzelne Räume wieder bewohnbar gemacht. Die
komplette Reparatur muss warten.
Verluste, Trauer
In der Endphase einer Katastrophe
werden die Toten begraben. Es beginnt die Trauer um die Menschen, die das
das Unglück mit dem Leben bezahlt haben. Getrauert wird auch um den
Verlaust des vertrauten Gesichtes der Gegend. Oft ist sind die Heimstätten
nach der Katastrophe nicht wiederzuerkennen. Kriege, Erdbeben und Feuer
können ganze Ortschaften den Erdboden gleichmachen.
Die Verletzten werden gründlich
behandelt und zur Erholung geschickt.
Erweiterte Hilfeleistung
Nun beginnen die etablierten Formen
der Hilfeleistung. Sie ersetzen die ersten spontanen und freiwilligen
Einsätze. Diese stammten noch aus der Zeit in der sich die betroffenen
Menschen einander zugehörig und verbunden fühlten und eine altruistische
Gemeinschaft bildeten.
Hilfsorganisationen von außerhalb
kommen mit ihren erfahrenen Mitarbeitern und beginnen ihre Tätigkeit. Jetzt
ist es mit der unbürokratischen Hilfe vorbei. Eine weit reichende Hilfe
braucht verwaltungstechnische Verfahren:
Die Betroffenen müssen nun zunächst
Formulare ausfüllen, um Hilfe zu erhalten. Wichtig ist es nun, die
Unterstützungsbedürftigkeit gegenüber Banken, Kreditgebern und den
staatlichen Behörden zu belegen.
In dieser Phase kommt die
„informelle“ Hilfe der ersten Stunden mit der „organisierten“ Hilfe
zusammen. Z. B.: Feuerwehren und professionelle Abbruchunternehmen helfen
intensiv zusammen, um Verschüttete aus den Trümmern der Häuser zu retten.
Dieses gemeinsame Arbeiten zweier
Hilfesysteme ist zunächst sehr wirksam. Trotzdem kann es zu vielen
Konflikten kommen und es ist mit besonderen Zerreißproben noch zu rechnen:
Konflikte wegen der verschiedenen Arbeitszeiten, Konflikte über die
Einsatzführung, Konflikte über die Kostenübernahme.
Allmählich gewinnen die
bürokratischen Perspektiven und die standardisierten Vorgehens- und
Verfahrensweisen Vorrang vor der spontanen Hilfe, mit der die freiwilligen
Helfer in den ersten Stunden und Tagen nach der Zerstörung die Opfer
unterstützt hatten.
Rückkehr der freiwilligen Helfern zu ihren gewohnten Tätigkeiten und
Berufen
Mit der Zeit nehmen die Menschen ihre
gewohnte Tätigkeit wieder auf, und die freiwilligen Helfer kehren ebenfalls
an ihren Arbeitsplatz zurück.
In den ersten Stunden im Kampf ums
Überleben führte das Band der gegenseitigen Hilfe die Menschen zusammen.
Jetzt kommen wieder die formalen Kommunikationsmittel und Beziehungen
zurück.
Die sozialen Unterschiede, die in der
Phase der Bestandsaufnahme und der Rettung verwischt waren, tauchen wieder
auf.
Allmählich ist das gesamte
Gemeinwesen mit der Wiederherstellung der gewohnten Ordnung befasst.
Es entstehen langfristige Pläne zum Wiederaufbau, Geld aus den
Katastrophenhilfsfonds wird bereitgestellt. Arbeiten zur Wiederherstellung
der Straßen, Gebäude und übrigen zerstörten Teile der Infrastruktur werden
ausgeschrieben.
Bürger bilden Aktionsgruppen, sie
wollen sich an der Wiederherstellung beteiligen. Sie hegen die Absicht,
etwaige früher begangene Fehler bei der Planung und Errichtung der
Gemeinschaft auszuschalten.
Die Atmosphäre ist zumindest anfangs
von hoher Moral und allgemein besten Absichten geprägt.
Psychische und emotionale Schäden werden sichtbar
Eine Katastrophe hat zunächst
sichtbare Schäden an den Gebäuden, an der Landschaft. Das ist aber nur ein
Teil der schlimmen Wirkungen.
Die Katastrophe trifft auch die
Menschen im Inneren. Die emotionalen und psychischen Schäden bei einzelnen
betroffenen Menschen und ganzen Familien werden in dieser Zeit sichtbar.
Kurzfristig auftretende Schäden werden als „Akutes Belastungssyndrom“
bezeichnet. Es kann durchaus sein, dass die Schäden länger andauern, dann
werden die psychischen Schäden als „Posttraumatische Belastungsstörung"
engl. "Posttraumatic Stress Disorder“ (PTSD) bezeichnet. Mehr Informationen
als Download
Post-Traumatische-Belastungsstörung.pdf
Hier eine kurze Liste der möglichen Schäden, die
durch die außergewöhnliche Belastung durch die Katastrophe entstehen können:
Depressionen,
Erregtheit,
Angstträume,
extreme Furcht,
Abhängigkeit,
Regression und kindliches Verhalten.
Schlafstörungen.
Ständige Müdigkeit.
Es kann auch zu körperlichen Zeichen kommen:
Zittern,
Beben,
Schwindelgefühl,
Übelkeit,
Erbrechen,
Durchfall,
7. Erholung und Wiederherstellung
Im Allgemeinen wird gewünscht, die Schäden der
Katastrophe vollständig zu beseitigen. Das ist nicht immer möglich. Viele
Faktoren bestimmen, wie und wie weit sich die Zerstörungen beseitigen
lassen. Solche bestimmende Faktoren sind.
¤
Art und die Schwere der Schäden
¤
Materiellen und seelischen Folgen für die
Betroffenen
¤
Zahl der Todesfälle
¤
Ausmaß der Zerstörungen, die der Mensch mit
angesehen hat
Einen
wichtigen Einfluss auf die Wiederherstellung hat die eigene Persönlichkeit
des Betroffenen. Manche Überlebenden einer Katastrophe sind verletzlicher
als andere:
¤
Alte Leute
¤
Bettlägerige, chronisch kranke Menschen
¤
schwangere Frauen
¤
kleine Kinder
Andere
Persönlichkeitseigenschaften zeigen einen positive Einfluss auf die
Wiederherstellung, das sind:
¤
Die Position des Einzelnen in der Familie und
in anderen Primärgruppen
¤
Sinn für seine soziale Verantwortung und
Erfolg im Beruf
Dieser Persönlichkeitseigenschaften, wenn sie günstig
ausgeprägt sind, können viel zur Erholung und Wiederherstellung beitragen.
Allerdings liegt darin ein hohes Konfliktpotential, wenn es um die
Bestimmung der Prioritäten geht.
Wie lange bleiben die Folgen des Traumas?
Die langfristigen Wirkungen einer Katastrophe sind
schwer zu messen. Schwierig ist abzuschätzen, wann sich das System endgültig
erholt haben wird.
Die Folgen des Traumas können noch lange nachwirken,
obwohl die äußeren Schäden der Katastrophe repariert sind und auch kaum
etwas Auffälliges im Verhalten und Erleben der Betroffenen beim ersten Blick
zu erkennen ist.
Clemens Hausmann, ein Fachmann für die psychische
Versorgung in Katastrophen schreibt:
„Die Auswertung von 27 Langzeitstudien ergab drei Haupttrends der
psychischen Entwicklung nach Katastrophen (Norris et al., 2001):
1. Die psychische Belastung geht mit der Zeit zurück, jedoch nicht linear.
Mit vorübergehenden Verschlechterungen ist in vielen Fällen zu rechnen.
2. Je stärker die psychischen Symptome kurz nach der Katastrophe waren,
desto länger und schwerer war auch die weitere Belastung. Ein verzögerter
Beginn der Symptomatik trat selten auf.
3. Der Höhepunkt der psychischen Belastung lag im ersten Jahr nach der
Katastrophe. Danach zeigten nur noch wenige Personen, Gruppen oder
Gemeinwesen erhebliche Beeinträchtigungen aufgrund der Katastrophe.“
Zitat: aus: HAUSMANN, Clemens: Handbuch
Notfallpsychologie und Traumabewältigung. Wien:
Facultas, 2003. – 3850765857. Literatur: Norris, F., Byrne, C.M., Diaz, E. &
Kaniasty, K. (2001): The ränge, magnitude, and duration of effects of
natural ans Human-caused disasters: A review of the empirical literature.
National Center for PTSD,
http://www.ncptsd.org/fac-ts/disasters/fs_range.html. (3. n. 2001).
Bei den meisten Betroffenen
verschwinden die Symptome der psychischen Belastung relativ rasch, aber bei
manchen Menschen gibt es noch einige Zeit Nachwirkungen. Möglicherweise sind
sie nicht mehr vollständig zu beseitigen.
Selbst wenn alle Schäden beseitigt
sind und sich das neue Leben normalisiert hat, bleibt die Katastrophe doch
ein wichtiger Meilenstein in der Lebensgeschichte der Überlebenden. Keiner
wird jemals so tun, als ob nichts passiert wäre. Die Katastrophe war ein
Wendepunkt, der zu einschneidenden Veränderungen des Lebens geführt hat. Es
müssen nicht nur Verschlechterungen gewesen sein, sondern viele Menschen
können aus dem Chaos der Katastrophe in eine positive Entwicklung des Lebens
gestoßen worden sein. |